Förderung nur noch gegen Schnüffelei?

Achtung! Mit dem Klick auf dieses Banner verlässt Du das Angebot der Falken-Nordniedersachsen. Hin zur Kampagnenbeschreibung (PDF) gegen die verfassungsfeindliche 'Extremismuserklärung'

Die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder will’s wissen…

Förderungen von Projekten gegen Rassismus und „Rechtsextremismus“ aus dem Programm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ sollen in Zukunft nur noch stattfinden, wenn sich die ZuwendungsempfängerInnen verpflichten, Partnerorganisationen auszuschnüffeln und zu ermitteln, ob diese auch verfassungskonform seien.

Dabei können sich die ZuwendungsempfängerInnen den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bedienen.

Ein Sturm der Entrüstung über eine derartige Bespitzelungspraxis läuft derzeit durch das Land. Denn die meisten der Initiativen und Organisationen sehen sich durch diesen Passus in den Bewilligungsbescheiden an den ministeriellen Pranger gestellt. Dabei erklären die bislang betroffenen Initiativen, dass sie kein Problem damit haben sich zur Verfassung zu bekennen – jedoch seien die beiden letzten Sätze der Erklärung verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Schreiben diese doch vor Partnerorganisationen durch den Verfassungsschutz überprüfen lassen zu können und auch zu sollen!

In einem Positionspapier der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., sowie dem Kulturbüro Sachsen e.V., Opferperspektive Brandenburg e.V. und dem Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V. – allesamt AuftraggeberInnen eines Rechtsgutachtens von Prof. Dr. Battis zur Verfassungskonformität der „Extremismuserklärung“  heißt es:

„Die nunmehr vom BMFSFJ versandten vierseitigen »Hinweise zur Erklärung für Demokratie« lassen keinerlei Zweifel mehr zu: Das BMFSFJ verlangt künftig von Trägern der Demokratie-Arbeit, den potenziellen Partner/innen mit Misstrauen zu begegnen und sie im Zweifel beim BMFSFJ, der neu eingerichteten Bundesprogramm-Regiestelle beim Bundesamt für Zivildienst oder beim Verfassungsschutz als »extremistisch« zu melden.“

Wir veröffentlichen hier die…

Sechs gute Gründe, sich gemeinsam gegen diese Erpressung zur Wehr zu setzen:

I. Jeder demokratische Staat braucht eine starke Zivilgesellschaft, insbesondere in Regionen, in denen demokratische Normen und Werte nicht verankert sind.

Als die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 das erste staatliche Förderprogramm gegen Rechtsextremismus und für Demokratie unter dem Namen „CIVITAS“ einsetzte, ging es auch um einen Paradigmenwechsel: weg von der starken Fixierung der Förderprogramme der frühen 1990er Jahre auf die Täter, hin zu einer Förderung derjenigen, die durch Rechtsextremismus am stärksten bedroht werden und sich vor Ort für demokratische Werte einsetzen. Jetzt, zehn Jahre  später, wird genau diesen Gruppen – kleinen antifaschistischen Initiativen ebenso wie kirchlichen Trägern oder Betroffenen neonazistischer Gewalt – ein besonderes staatliches Misstrauen entgegen gebracht. Wer sich dem Bekenntnis- und gegenseitigen Bespitzelungszwang nicht beugen will, ist nun schutzlos rechtsextremen und rassistischen Bedrohungen ausgesetzt. Wie soll ein junger Punk, der Opfer eines neonazistischen Angriffs wurde, sich vertrauensvoll an eine Beratungsstelle wenden, wenn er damit rechnen muss, erst einmal auf seine Gesinnung überprüft zu werden? Genießen die Mitglieder der vom BMFSFJ inkriminierten Organisationen einen geringeren Schutz vor Übergriffen, weil sie sich „kritisch auf das im Grundgesetz nicht festgeschriebene Wirtschaftssystem beziehen?“ fragt Prof. Dr. Gesine Schwan. Anlässlich der Verleihung des Sächsischen Demokratiepreises hatte die Politikwissenschaftlerin Schwan in einer Rede die von den Preisträgern verlangte inhaltsgleiche „Extremismuserklärung“ durch das sächsische Innenministerium scharf kritisiert.

II. Allzu oft sind staatliche Akteure Teil des Problems und nicht der Lösung, wenn es um effektive Auseinandersetzung mit der extremen Rechten geht.

Mit der „Extremismuserklärung“ und der vierseitigen „Erklärung für Demokratie“ verfolgt das  BMFSFJ vor allem ein Ziel: Die Zivilgesellschaft auf diesem Feld wieder zurückzudrängen und damit die Deutungshoheit der staatlichen Akteure – Polizei, Verfassungsschutz und Justiz – in  der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus zurückzugewinnen. Doch leider sind noch immer Teile dieser Institutionen ein Teil des Problems – weil ihre Haltung gegenüber Neonazis häufig bestenfalls von Ignoranz und schlimmstenfalls von einem paternalistischen Verständnis geprägt ist.

III. Geheimdienste sind politische Akteure und keine neutralen Instanzen

Das BMFSFJ rät den Projekten in seinen „Erklärungen“ dazu, „den Verfassungsschutz“ und seine Berichte zurate zu ziehen bei der Frage, wer oder was “extremistisch” sei. Das BMFSFJ verschweigt dabei bewusst, dass beispielsweise die Landesämter für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen und Bayern erst vor kurzem gerichtliche Niederlagen bei der Einstufung antifaschistischer Zeitungen und Archive als „linksextremistisch“ hinnehmen mussten und dass umgekehrt alle Landesämter ebenso wie das Bundesamt für Verfassungsschutz eine lange Tradition haben, militante neonazistische Strukturen durch den Einsatz von V-Leuten und bezahlten Informant/innen direkt und indirekt zu fördern. Bekanntlich ist das NPD-Verbot an deren Einsatz gescheitert.

Gleichzeitig enthalten die Geheimdienste der Zivilgesellschaft und den Bürger/innen zentrale Informationen über rechte Strukturen vor.

IV. Minderheitenfeindliche Einstellungen und Haltungen sind ein Problem der Mitte

„Wie irreführend die Verwendung des Extremismusbegriffs ist, kann man u.a. an den neuesten empirischen Befunden zum Rechtsextremismus erkennen, die diese antidemokratische Einstellung soziologisch eben nicht an den ‘extremen Rändern’ der Gesellschaft, sondern in ihrer Mitte vorgefunden haben“, schreibt Prof. Dr. Gesine Schwan.

V. Der Begriff des „Extremismus“ führt in der Auseinandersetzung mit rechtsextremer Gewalt, Antisemitismus und Rassismus in eine Sackgasse.

„Rechtsextreme zielen auf die Abwertung, Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung von Bevölkerungsgruppen, die nicht zur ‘völkisch-rassenreinen Gemeinschaft’ gehören – gegründet auf Ungleichheits- bzw. Überlegenheitsideologien, die ein gleichberechtigtes Miteinander unterschiedlicher Menschen (‘Vielfalt’) bekämpft“, schreibt der Politikwissenschaftler Prof.

Roland Roth. Die tödliche Dimension rechtsextremer Gewalt wird anhand der Tatsache deutlich, dass mindestens 137 Menschen seit 1990 Opfer politisch rechts oder rassistisch motivierter

Tötungsdelikte wurden; Zehntausende wurden in diesem Zeitraum von rassistischen und rechten Schlägern verletzt – manche der Betroffenen leiden noch immer an den physischen und psychischen Folgen dieser Gewalttaten. Hintergrund dieser Gewalt ist eine Ideologie, die Menschen qua Geburt, Herkunft oder Einstellung ihre Würde, ihre Rechte und ihr Lebensrecht abspricht.

„Rechtsextreme Einstellungen und Handlungen bilden den extremen Gegenpol zum Ideal von Zivilität im Sinne einer demokratischen und gewaltfreien Zivilgesellschaft“, so Roland Roth. Die Phänomene Faschismus und Antifaschismus in eins fassen zu wollen, entbehrt zudem jeder historischen und ethischen Rechtfertigung. Keine dieser Dimensionen erlaubt die leichtfertige Nivellierung im Begriff des „Extremismus“.

VI. Mit der “Extremismuserklärung” wird ein Klima des Misstrauens und der Denunziation gefördert

Die „Extremismuserklärung“ stellt alle diejenigen unter Generalverdacht, die sich täglich für praktizierte Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren. Sie tun dies im Wissen, dass ihre Wohnungen, Büros und Autos Ziele neonazistischer Brandanschläge sind und dass sie selbst potenziell mit körperlichen Angriffen rechnen müssen. Ihr oft mühsamer Einsatz für die alltägliche Umsetzung demokratischer Werte und die gleichberechtigte, gesellschaftliche Teilhabe möglichst vieler Menschen sollte gewürdigt und nicht durch ein Klima des Misstrauens behindert oder gar unmöglich gemacht werden.

Ein tragfähiges Bekenntnis zur Demokratie kann nicht auf ordnungspolitischen Erwägungen basieren. Es setzt ein qualitatives, auf der Anerkennung der unteilbaren Menschenwürde beruhendes Demokratieverständnis voraus, in dem Unterschiede, Kritik und politische Auseinandersetzung nicht nur ausgehalten, sondern als Voraussetzung für eine gelebte, sich kontinuierlich weiter entwickelnde Demokratie begrüßt und gefördert werden.

Berlin/Brandenburg, 27. Januar 2011

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., Kulturbüro Sachsen e.V., Opferperspektive Brandenburg e.V., Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V.

(Die Auftraggeber des Gutachtens von Prof. Dr. Ulrich Battis zur Verfassungskonformität der „Extremismuserklärung“)

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