Erfurt, Emsdetten, Winnenden…

Wieder ein Amoklauf eines (ehemaligen) Schülers, wieder etliche Verletzte und Tote…

Die Bilder scheinen sich zu wiederholen, die Taten schrecken einmal mehr auf.

Aber leider wohl auch die Stereotype mit denen auf diese Grausamkeit reagiert wird.

Es liegt so nah, nach Verboten und Restriktionen zu rufen und so wird es dann auch kommen. Die wirklichen Hintergründe und Ursachen liegen aber aus unserer Sicht ganz wo anders.

Zwar werden Jugendliche gern als „Zukunft unseres Landes“ bezeichnet, aber bereits am Montag nach diesen Sonntagsreden sieht die Situation von Kindern und Jugendlichen in diesem Land deutlich bescheidener aus. Die Schule wird zum Edelknast, möglichst umfassend in ihrer zeitlichen und inhaltlichen Ausdehnung. Jugendzentren werden vom Gewährsmann des Kriminologischen Intstituts Niedersachsen, Herrn Pfeiffer, als Hort der Kriminalität und Gewalt bezeichnet und Computerspiele dafür verantwortlich gemacht, dass diese Erwachsenengesellschaft vor Gewalt strotzt!

Die Jugendphase ist einerseits geprägt von Abgrenzung gegen die überkommene Erwachsenenwelt, andererseits hält sie diesen Werten den Spiegel vor und reproduziert sie in spezifisch pointierter Weise.

Dabei gehören nicht nur solche eklatenten Taten hinterfragt, sondern vor allem auch die Lebens- und Entwicklungsbedingungen junger Menschen.
Welche Werte werden als unveräußerlich gehandelt und wie konsequent lebt diese Gesellschaft diese Unveräußerlichbarkeit vor? Gibt es nicht immer Ausnahmen? Wie steht es mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde, wenn man an Hartz IV-EmpfängerInnen oder die Situation von Flüchtlingen in diesem Land denkt? Wie sieht es konkret mit dem unveräußerlichen Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus, wenn man an die Nutzung der Atomkraft, die Kinderkrebsrate rund um Atomanlagen denkt?
Meist stehen Privat- und Profitinteressen vor den Grundrechten der Bevölkerung.

Strukturelle Gewalt wird in der Diskussion um Gewalt von Jugendlichen so gut wie nicht benannt. Gewalt wird so zu einem individuellen Problem einzelner Menschen gemacht.

Schaut man sich die Lebensbedingungen von Aufwachsenden jedoch einmal genauer an, so muss man feststellen, dass Kindheit und Jugend vor allem möglichst schnell und in Vorbereitung auf das „wirkliche“ Leben vonstatten zu gehen hat.

Abitur nach 12 Jahren (G8), möglichst ohne Ruhepausen, Studium bitte sehr so verschult wie möglich, damit nur keine kreativen Lösungen die überkommene Lehre in Frage stellt – lernen im Galopp!

Da aber Lernen nach ganz anderen Regeln funktioniert, als mit dem viel zitierten Trichter, Zeit braucht, wird aus solch einem Bildungssystem auch nur das kommen, was PISA und IGLU bereits bescheinigen: Ausgebrannte SchülerInnen, ausgebrannte LehrerInnen.

Die Alternativen liegen seit 100 Jahren auf dem Tisch, werden in wenigen Lernbiotopen bereits praktiziert, aber gänzlich unberührt davon bleiben aktuelle Schulkonzepte.

Aber auch dort, wo versucht wird fortschrittliche Bildungspraxis zu etablieren, planen Politiker der Niedersächsischen Landesregierung den nächsten Streich: Auch integrierte Gesamtschulen, die dadurch bei vielen Eltern an Attraktivität gewonnen haben, weil sie eben nicht das Abitur nach 12 sondern weiterhin nach 13 Schuljahren, also mit mehr Zeit für die jungen MENSCHEN ermöglichten, sollen nun auch gestutzt werden.

Einen Ausrutscher hat sich jüngst CDU-Mann Althusmann erlaubt. Nach den Jahren der Lobeshymnen für das G8 gab er bei der Ankündigung dieser Veränderung für die IGS in der Landeszeitung vom 27. Februar zum Besten: „Die ausdrückliche Bevorzugung einzelner Schulformen ist doch gar nicht zu rechtfertigen“. Aha, also ist das Abi nach 12 Schuljahren eine Benachteiligung? Wir sind froh, dass Sie nun endlich zugeben, was viele Eltern und Fachleute bereits seit Jahren sagen: G8 ist eine Verschlechterung für SchülerInnen, es verstärkt den Stress und raubt die Zeit, die Lernen einfach benötigt!

Danke für die Aufklärung, Herr Althusmann!

Die Jugendarbeit/Jugendverbandsarbeit ist ein Teil der oben genannten fortschrittlichen Bildungspraxis. Sie ist in weiten Teilen pure Bildungsarbeit, die den Kids Spaß macht, die intrinsisches Lernen begünstigt, Lernblockaden löst und ganz ohne Bewertung von Leistungen auskommt. Einzig die zeitlichen und finanziellen Ressourcen werden ihr immer weiter zusammengestrichen. Wozu auch Jugendarbeit? Wenn sowieso alles nur noch in Schule stattfindet – von morgens bis abends?!
Aber sogar Institutionen der Jugendarbeit, wie die Mobile Medienarbeit der Falken, die ausgewiesen fundierte Medienkompetenzförderung im Jugendbereich betreiben, werden so gut wie nicht mehr gefördert und das gerade vor dem Hintergrund solcher Amokläufe, nach denen regelmäßig Medienkompetenzförderung eingefordert wird…

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  1. […] Der Lüneburger CDU-Althusmann begründet das im Zuge der Diskussion dieser sehr umstrittenen Änderung damit, dass ja nicht die Gymnasien in Nachteil gesetzt werden dürften, wenn die IGSn weiterhin bis zur 13. Jahrgangsstufe laufen dürften (vergleiche: Landeszeitung vom 27.2.09 oder hier: Textauszug Althusmann) […]

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